Sehr geehrter Herr Kretschmann,

„auf diese Empfindlichkeiten kann man derzeit keine Rücksicht nehmen.“ Das ist Ihre Antwort auf die Frage, wie sich Ihr Vorschlag, dem Lehrer*innenmangel mit der Aufstockung von Teilzeitstellen zu begegnen, mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf verträgt. Diese Antwort ist eine Ohrfeige für ALLE Beteiligten – diejenigen, die Teilzeit arbeiten (MÜSSEN!), für ihre Familien, für die Schüler*innen, für das gesamte Bildungssystem. Ich kann meine Empörung darüber, wie Sie dieses Thema, das SEIT JAHREN Arbeitnehmer*innen, die eine Familie gründen möchten oder bereits haben, beschäftigt, derart bagatellisieren, kaum zügeln. Man verzeihe mir daher auch die gelegentliche Großschreibung. Dabei halte ich mich durchaus noch zurück. „Empfindlichkeiten“? ICH MÖCHTE NUR NOCH SCHREIEN.

Also nochmal im Klartext: Es gibt zu wenige Lehrer*innen an deutschen Schulen, schon seit Jahrzehnten. Jetzt, da viele ukrainische Kinder nach Deutschland kommen, die beschult werden sollen und mehr Zuwendung (insbesondere, um Deutsch zu lernen) benötigen, eskaliert die Situation. Endlich, möchte man meinen – endlich ein Grund, um ausreichend Lehrer einzustellen. Vielleicht auch ein Anlass, um den unerträglichen Zustand zu beenden, dass im Land Baden-Württemberg (AUSGEBILDETE!) Lehrer, die nicht verbeamtet sind, von Schuljahresanfang bis Schuljahresende befristet eingestellt werden und sich über die Sommerferien arbeitslos melden müssen. Auch dies status quo SEIT JAHRZEHNTEN.

Aber nein. Ihr Vorschlag, Herr Kretschmann, lautet: Teilzeitstellen auf eine Mindeststundenanzahl anheben. Wie weit entfernt vom Familenalltag kann man sich eigentlich bewegen? WO LEBEN SIE, HERR KRETSCHMANN? Es sind – SURPRISE! – überwiegend Mütter, die im Lehrberuf in Teilzeit arbeiten. Warum wohl? Jetzt denken Sie mal ganz scharf nach. Weil sie keinen Bock haben, mehr zu arbeiten? Der Lehrberuf ist, soweit ich weiß, der einzige, der im Grunde überhaupt vereinbar ist mit einer Familie. Weil man sich um die Kinderbetreuung während der Ferien nicht sorgen muss, weil man nachmittags meist daheim ist (wenn nicht grad Gesamtlehrerkonferenz oder Mittagsschule oder Notenkonferenz oder Vertretungsstunde oder …) und weil man eben RELATIV UNKOMPLIZIERT Teilzeit arbeiten kann. Das funktioniert ganz gut so. Teilzeitarbeitende sind NICHT verantwortlich für den Lehrermangel und den Zustand an den deutschen Schulen.

Und jetzt kommen Sie mit der grandiosen Idee, genau diese familienfreundlichen Teilzeitstellen zu streichen, um mehr Lehrerstunden zu generieren. Und dabei – das muss man sich ja wirklich mal bildlich vor Augen halten – werden in Baden-Württemberg JEDES SCHULJAHR ca. 5.000 Lehrer*innen befristet (also vom ersten bis zum letzten Schultag des Schuljahres) eingestellt, die sich dann auf die Sommerferien arbeitslos melden müssen.

Herr Kretschmann: familienfreundliche Arbeitsplätze, Vereinbarkeit, Schulbildung – diese Themen gehen uns alle an. Sie betreffen aber überwiegend Frauen, an der Biologie lässt sich da nur wenig rütteln. Mit Ihrer Äußerung, mit der Sie diese Themen als „Empfindlichkeiten“ wegwischen, treten Sie mit allen verfügbaren Gliedmaßen in den riesigen Klischeefettnapf des alten weißen Mannes. (Und ich HASSE es, dass ich dieses überstrapazierte Bild bemühen muss.) Da schwingt so ein unangenehmes „jetzt stell dich nicht so an“ mit. Sie tragen den Lehrermangel einfach mal so nebenbei auf dem Rücken der Frauen und Mütter und damit der Familien – ja, letztendlich der Kinder aus.

Bildung ist unser größtes Zukunftskapital. Dass es mit unserem Schulbildungssystem nicht grade so rosig aussieht, wissen wir alle nicht erst seit der Pandemie. Ich schaudere, wenn ich mir überlege, dass sich in den letzten 40 Jahren kaum etwas geändert hat an Unterrichtsmethoden, Lehrplänen, Didaktik. Das fängt bei den Heften in Plastikumschlägen an und hört längst nicht bei den zentnerschweren Rucksäcken auf, die die Kinder jeden Tag in die Schule und wieder heim schleppen. Dass Digitalisierung an Schulen lediglich bedeutet, dass jedes Kind ein Tablet zur Verfügung gestellt wird – gleichzeitig aber die Nutzung von WhatsApp und mobilen Endgeräten nur mit Stirnrunzeln geduldet wird. Im 21. Jahrhundert. WHAT. THE. FUCK.

Ein ganz großer Schritt zur Verbesserung der Lage wäre – JETZT KOMMT’S!!! – ausreichend Lehrer einzustellen. Unter würdevollen Bedingungen. Das würde für kleinere Klassen, weniger Ausfälle, mehr Diversität, mehr Esprit und frische Ideen, mehr Entlastung und letztendlich eine bessere Lernatmosphäre an Schulen sorgen. Um Schule zu einem Ort zu machen, an dem Lehrer und Schüler entspannt und mit Freude zusammen arbeiten können. Die Arbeitslast für Lehrer zu erhöhen und insbesondere Lehrer*innen noch mehr unter Druck zu setzen, damit sie unter der kaum bewältigbaren Aufgabe, Job und Familie auf zufriedenstellende Weise zu vereinen, vollends zusammenbrechen, ist ein Schritt in die falsche Richtung. Schon allein die Tatsache, dass Sie in diese Richtung überhaupt denken, entlarvt Sie als einen ewig gestrigen, null emanzipierten Typen auf hohem Ross, von dem es jetzt vielleicht mal Zeit wird, abzusteigen. So bringen wir Deutschland NICHT voran, Herr Kretschmann.

Es ist zum Verzweifeln.

Well, that time has passed

„Das können die meinetwegen in ihren eigenen vier Wänden machen, aber doch nicht im Fernsehen!“ Wutentbrannt bricht es aus dem jungen Mann neben mir am Tisch heraus. „Und das bei der heutigen beeinflussbaren Jugend!“

Es geht um den Auftritt von Conchita Wurst und ihren grandiosen Sieg beim Eurovisionscontest im Jahr 2014. „Mein ganzes Land“, so mein Gegenüber, der aus Österreich stammt, „hat sich für  diesen Auftritt geschämt“.

Wenn das so sei, sage ich leise, dann ist das ein Armutszeugnis für dieses Land. Ich bin allerdings überzeugt davon, und sage das auch, dass das ganz sicher nicht so war. Ganz Europa hat diesen Sieg gefeiert, und ich ganz besonders, weil die Eurovision in diesem Jahr in Russland stattfand, einem Land, in dem Homosexuelle nach wie vor angefeindet, verfolgt, eingesperrt und verachtet werden. Das alles sage ich. Danach schweige ich.

Was ich – des Tischfriedens wegen – nicht gefragt habe, war, was mein Gesprächspartner denn fürchte, inwieweit die heutige beeinflussbare Jugend denn so schlimm von einem Travestiekünstler, der in Damenrobe und mit Vollbart so herzzerreißend schön vom Phoenix singt, der aus der Asche aufsteigt, beeinträchtigt werden könne? Fürchtet er, dass künftig die Straßen von kleidertragenden Männern mit Vollbärten bevölkert werden? Abgesehen davon, dass diese Idee lachhaft ist – was wäre denn so schlimm daran (außer das mit den Vollbärten meiner Ansicht nach, aber das wiederum ist ja Geschmackssache)? Was tut den Conchita Wurst gar so Furchtbares, dass man die Jugend vor ihr beschützen muss? Wieso fühlt sich ein junger Mann derart von einem Künstler bedroht, der in Frauenkleidern auftritt? Was stimmt hier nicht?

Besser, als wenn sie Flüchtlingsheime anzünden, denke ich, aber ich sage es nicht.

Ob er wirklich glaubt, dass der Auftritt eines Künstlers „die heutige Jugend“ (wenn ich das schon höre) schwul oder zum Transvestiten machen könne, denke ich, aber ich sage es nicht, sondern schaue nur verstohlen auf das sehr auffällige schwarze Tatoo auf dem Arm des Mannes und frage mich, wer oder was ihn wohl dazu gebracht haben mag. Ich schweige, weil ich in dieser Grundsatzdiskussion so ewig weit ausholen müsste, dass der Nachmittag dazu nicht ausreicht. Ich schweige, weil ich bei meinem Gegenüber eine Wand der Ablehnung, der Vorurteile und der spießigen, kleinbürgerlichen Piefigkeit spüre, die solche Diskussionen so müßig machen. Ich schweige auch, weil ich weiß, dass der Satz, der mir auf der Zunge liegt, möglicherweise die Stimmung ruinieren würde: „In ihren eigenen vier Wänden, ja? Besser noch in ein Lager wegsperren, oder? Dann fallen diese Leute niemandem zur Last. Hatten wir ja alles schon mal.“ Ich sage das nicht. Ich bin hier zu Gast. Ich möchte niemandem vor den Kopf stoßen.

Das Gespräch und auch mein eigenes, feiges Schweigen hallen jedoch in mir nach: Wie froh und glücklich war ich doch über diesen Eurovisions-Sieg. Ich sah darin ein Signal. Ein lang ersehntes Zeichen der Akzeptanz und Toleranz. ENDLICH, dachte ich, endlich sind wir angekommen in einer Zeit, in der jeder sein darf. In der sich niemand mehr verstecken muss, schämen muss, für das, was er ist oder sein möchte. Ich war wirklich überzeugt davon, dass der Spott, die Häme, die Ausgrenzungen und die Anfeindungen jetzt ein Ende haben müssen, oder dass zumindest ein Ende langsam in Sicht kommt. Dieser eigentlich so unbedeutende Sieg einer schillernden Figur in einem Schlagerwettberwerb bedeutete für mich den ultimativen Sieg der Freiheit. Der Freiheit derjenigen, die scheinbar „anders“ sind. Dieser Sieg bedeutete für mich eine Wegebnung für die Integration derjenigen, die „nicht dazu gehören“, „nicht normal“ sind. Für die selbstverständliche! Aufnahme derjenigen in unsere Gesellschaft, die schräg sind, schillernd, bunt, die unser Leben bereichern, unsere Gedanken erfrischen, die unseren Horizont erweitern und einfach dazu gehören, weil sie sind. Conchita Wurst war für mich „das neue NORMAL.“ Wie schön das wäre.

Scheinbar nicht. Heute, vier Jahre später, höre ich von einem Mann, wesentlich jünger als ich, solche Sprüche, und ich denke, wir sind noch lange, lange nicht soweit. Oder nicht mehr? In den vergangenen zwei Jahren habe ich es des Öfteren gedacht: Moment mal. Da waren wir doch aber schon mal drüber weg, oder? Das ist doch jetzt nicht wahr, dass wir diese eigentlich längst abgehakten Themen wieder durchdiskutieren müssen. ODER???

Unterm Strich schwöre ich mir zum hundertsten Mal, dass mein Sohn solche Sprüche nie, niemals von sich geben wird. Weil das einer der wenigen Beiträge ist, die ich leisten kann, um unsere Gesellschaft zu verändern. Und weil er vielleicht in solchen Situationen mutiger ist als ich und nicht bloß denkt und schweigt.

Dear Mr. President,

I started crying, when the final results of this year’s presidential election came through. As a matter of fact, I am crying right now. I am crying tears of horror, anger and fear.

I am horrified that a country I love so much, a country whose people I treasure so much for their humor and their way of life, could have voted for a man who has been saying disgusting things. A man who said disgraceful things about women, about members of the LBTGQ-community, about people from other countries, and many other things. A man who thinks it is okay to grope and to kiss women without consent. A man who plans on building a wall in order to keep unwanted visitors out of the country. I am appalled that this man will walk in shoes, which are too big for him by miles, for – at least – four years. That he is supposed to own a position which he cannot fulfill due to a flawed character and – probably – a lack of qualification. I am horrified that this man who stands for all these unspeakable things, will represent a country which a long time ago has become the home of my heart.

I am perfectly aware of the fact that it is not particularly en vogue these days to like the USA. No, actually America-bashing is the fashion. Europeans and Germans highly disapprove of the evil, war chasing, superficial and material American. Not me, though. I have spent an unforgettable and wonderful year in this country and it has found its place in my heart ever since. There is no such thing as “the American” anyway – it is, however, a sign of shallowness and ignorance to dislike a whole continent based on bias. While living there and also during many other stays and vacations, I have met people who I instantly liked and of course also people who I did not get on with so well. Just like it is in any other place in this world. There is one thing, though, that all of those people had in common: They would always be open, friendly, curious, without bias and helpful. I have never thought the salespeople’s infamous “How are you doing today” to be shallow. To me, it feels friendly. Talkative. It creates an atmosphere which in turn makes me feel comfortable. Welcome. At home. Being a Swabian, I am rather used to sales people not even looking up whenever I enter a store. So whenever I think about the USofA, there is a fuzzy feeling in my stomach. I actually become homesick. Whenever I travel to New York City, I want to kiss the floor at immigration at JFK, right there, under the flag, I am that grateful and happy to just be there again. Whenever I walk the streets of Manhattan, I feel an energy and love of life pulsing through my veins that I can feel only there. Nowhere else am I able to feel myself like this. Dear Mr. President – please, don’t break this country.

Dear Mr. President, I am also crying angry tears. I am angry about how you – for the love of power, the joy of gambling, out of arrogance? – fooled a nation with lies and empty promises, with populist tricks and with hail-fellow-well-met slogans. You abused the insecurities of many American citizens who – unfortunately – have been forgotten over the past years. You raised hope within them with empty words and you made them believe you speak their language. I am convinced that all of this has been only lip service and I am also convinced that you will be exposed pretty soon. You know what else makes me angry? That you are not willing to keep and improve those achievements that President Obama has been fighting for so hard during his eight years of presidency, instead you want to swipe them out instantly. It makes me angry that you want to put a gun into every American’s hand. It makes me angry to hear you say vaccines cause autism. And it makes me angry beyond words that you want to take the right of self-determination off women by prohibiting abortions. It makes me angry that you plan to repeal all those rights for homosexual couples that people have been fighting for for decades. Dear Mr. President – you are just like the German AfD-party. You are about to lead your country back into the Stone Age. Tell me – what is supposed to be great about that?

My tears, dear Mr. President, are also tears of fear. I have a five year old son. He does not understand as of yet the bigger picture. He does not even have a notion yet of the planet we live on. He is only starting out to explore and discover the many miracles which the earth has in store. You, Mr. President, are now the master of the red button which may destroy everything within seconds. And it pains me to say that you are not a very trustworthy person. You seem moody and short-tempered, reckless and blundering, thickheaded, you let your own sensitivities lead the way. It scares me shitless that you are entitled to decide about the future of this planet.

Dear Mr. President, my sincerest hope is that your behavior during the election campaign, your polemics, your mischief-making, your arrogant affectations were all part of an act. Part of your plan to win this election. I do hope that you take off the mask now and become aware of your position, aware of the size of the shoe you are stepping into. I hope and I pray that as a father, husband and human being, you become aware of your infinite responsibility towards your country and the world.

After all, you’re a dad too, Mr. President.

Dear Mr. President,

als gestern das endgültige Wahlergebnis bekannt wurde, habe ich geweint. Tatsächlich weine ich immer noch. Es sind Tränen des Entsetzens, der Wut und der Angst.

Entsetzt bin ich darüber, wie ein Land, das ich so sehr liebe und dessen Menschen, deren Humor und Lebensart ich so sehr schätze, einen Mann gewählt hat, der abstoßende, hässliche Sätze sagt und gesagt hat. Abwertende Sätze über Frauen, über Mitglieder der LBTGQ-Community, über Menschen anderer Herkunft und vieles andere mehr. Einen Mann, der es okay findet, Frauen zu begrapschen und gegen ihren Willen zu küssen, einen Mann, der eine Mauer bauen will, um unerwünschte Besucher aus anderen Ländern fern zu halten. Ich bin entsetzt darüber, dass dieser Mann nun – mindestens – vier Jahre lang eine Position innehält, deren Schuhe ihm meilenweit zu groß sind, für die er charakterlich – und womöglich auch professionell – nicht geeignet ist, ich bin entsetzt, dass dieser Mann, der für diese unwürdigen Aussagen steht, ein Land repräsentiert, das längst zu meiner Herzensheimat geworden ist.

Ich weiß, dass es derzeit nicht besonders en vogue ist, die USA zu mögen. Im Gegenteil, Amerika-Bashing ist die Geisteshaltung der Zeit, wir Deutschen und Europäer lehnen den bösen, kriegtreibenden, oberflächlichen und materiellen Amerikaner ab. Ich nicht – ich habe ein sehr prägendes und großartiges Jahr lang in diesem Land gelebt und habe es seither in mein Herz geschlossen. „Den Amerikaner“ gibt es ja eh nicht – zeugt es doch von Oberflächlichkeit und Ignoranz, einen ganzen Kontinent aufgrund von Vorurteilen abzulehnen. Während meines Aufenthalts dort und während unzähligen Besuchen und dort verbrachten Urlauben habe ich Menschen getroffen, die mir sehr ans Herz gewachsen sind; genau so auch Menschen, die mir nicht so lagen – wie es eben so ist, in jedem Land, an jedem Ort dieser Welt. Was allerdings alle diese Menschen dort gemeinsam hatten (und haben): immer begegneten sie mir offen, freundlich, neugierig, vorurteilslos, hilfsbereit. Das „How are you doing today?“ des Verkaufspersonals habe ich nie als oberflächlich empfunden sondern als freundlich-kommunikativ. Diese kommunikative Art schafft eine Atmosphäre in der ich mich einfach wohl und angenommen und zuhause fühle. Als Schwäbin bin ich es eher gewohnt, dass Verkäufer*innen nicht einmal den Blick heben, wenn ich einen Laden betrete. Wenn ich also an die USA denke, wird mir warm ums Herz und ich bekomme Heimweh. Wann immer ich nach New York City reise, möchte ich bei der Ankunft im JFK, da wo die riesige Flagge hängt, den Boden küssen vor lauter Freude und Dankbarkeit, wieder dort zu sein. Wenn ich in Manhattan bin, durchströmt mich eine Energie und Lebenslust, sofort pulsiert die reine Lebensfreude durch meine Adern. Nirgendwo spüre ich mich selber so sehr. Dear Mr. President – bitte machen Sie dieses Land nicht kaputt.

Dear Mr. President, meine Tränen sind auch Tränen der Wut. Der Wut darüber, dass Sie – aus Machtgier, aus Freude am Spiel, aus Arroganz? – ein Volk mit Lügen und leeren Versprechungen, mit populistischen Tricks und anbiedernden Parolen hinters Licht geführt haben. Sie haben sich die Verunsicherung der vielen, vielen amerikanischen Bürger, die in den letzten Jahren (leider!) vergessen wurden zunutze gemacht. Sie haben mit Ihren leeren Worten bei diesen Menschen Hoffnungen geschürt und ihnen vorgegaukelt, Sie würden die Sprache dieser Menschen sprechen. Dass das alles Lippenbekenntnisse waren, wird sich, da bin ich überzeugt, schnell herausstellen. Und auch das macht mich wütend: Dass Sie die hart erkämpften, wenigen Errungenschaften, die Präsident Obama in seinen acht Jahren Amtszeit erreicht hat, nicht weiterführen und verbessern wollen, sondern mit einem Wisch alles zunichte machen wollen. Es macht mich wütend, dass Sie jedem Amerikaner eine Waffe in die Hand geben wollen. Es macht mich wütend, dass Sie behaupten, Impfungen würden Autismus verursachen, es macht mich unendlich wütend, dass Sie Frauen das Selbstbestimmungsrecht nehmen wollen und Abtreibungen wieder verbieten wollen. Es macht mich wütend, dass Sie all die über Jahrzehnte hart erkämpften Rechte für Homosexuelle Paare außer Kraft setzen wollen. Dear Mr. President, Sie sind wie die AfD. Sie sind drauf und dran, Ihr Land zurück in die Steinzeit zu führen. Was soll daran „great“ sein?

Und es ist die Angst, die mich zum Weinen bringt. Dear Mr. President – ich habe einen fünfjährigen Sohn. Er versteht noch nichts von den groben Zusammenhängen, er hat noch nicht mal eine genaue Vorstellung von dem Planeten, auf dem wir leben. Er ist erst noch dabei, die vielen Wunder, die die Erde bereit hält, zu erforschen und zu entdecken. Sie, Mr. President, sitzen jetzt an einem roten Knopf, der dies alles innerhalb von Sekunden vernichten kann. Leider, und das sage ich Ihnen ehrlich, sind Sie keine besonders vertrauenswürdige Person. Sie scheinen launenhaft und leicht reizbar, unbesonnen, eigensinnig, geleitet von Ihren persönlichen Befindlichkeiten. Dass jemand wie Sie über die Zukunft unseres Planeten entscheiden darf, macht mir Angst.

Dear Mr. President, ich hoffe inständig, dass Ihr gesamtes Auftreten während des Wahlkampfes, Ihre Polemik, Ihre Hetzerei, Ihr arrogantes Gehabe, Teil einer Show war. Teil Ihres Plans, um die Wahl zu gewinnen. Ich hoffe, Sie legen dieses Kostüm jetzt ab und werden sich Ihrer Rolle bewusst, der Größe der Fußstapfen, in die Sie treten. Ich hoffe und bete, dass Sie sich als Vater, Ehemann und Mensch Ihrer unendlichen Verantwortung Ihrem Land und der Welt gegenüber im Klaren sind.

After all, you’re a dad too, Mr. President.

the end of the world as we know it

Vielleicht gewöhnt man sich ja daran. Dachte ich gestern bei der Heimfahrt aus meiner Stadt ins beschauliche Dorf, wo ich lebe. Die Polizei hatte entwarnt: Für die Bevölkerung bestand keine Gefahr mehr. Der Macheten-Irre war ein Einzeltäter und in Verwahrung.

Vielleicht wird es ab jetzt so sein, dachte ich. Schlimme Meldungen, Terrorwarnungen, dringende Empfehlungen, zuhause zu bleiben – und nach der Entwarnung geht das Leben wieder weiter. Und irgendwann gelingt es einem, ohne Angst in den Supermarkt, ins Freibad, zum Open-Air-Konzert, in den Urlaub zu gehen. Denn die Angst hilft ja nicht und sie ändert nichts. Schützen kann man sich nicht, passieren kann es überall, treffen kann es jeden. Ob Amokläufer wie in München, Würzburg oder Reutlingen, ob Terroranschlag wie in Nizza und Ansbach. Vielleicht gewöhne ich mich daran, weil ich muss.

Woran ich mich sicher nicht gewöhnen werde und will, sind die Stimmen, die gleich wieder laut, zu laut werden. Nicht nur in den sozialen Medien (da allerdings überpräsent). Auch in meinem direkten Umfeld. Schlimme Äußerungen über das „Pack, das man wieder nach Hause schicken“ solle. Bösartige Drohungen gegenüber unserer Bundeskanzlerin, die „dieses Dreckspack auch noch hereingeholt hat“. Unsägliche Äußerungen seitens des AfD-Reutlingen Twitteraccounts, später entschuldigt („der Praktikant hatte Zugang zum Account“), wenig später gelöscht. Wie gerufen kommen die jüngsten Ereignisse denjenigen, denen es schon seit letztem Spätsommer nicht passt, dass fremde Menschen hier Zuflucht suchen und bekommen. Und ja, es sind immer noch Menschen, über die wir hier sprechen. Auch die Attentäter. Auch die Amokläufer. Es sind Menschen. Selbstredend heiße ich nichts von dem, was passiert ist, gut. Ich nehme niemanden in Schutz, solche Taten sind verachtungswürdig und abscheulich. Genauso abscheulich sind aber auch diejenigen, die ein ganzes Volk für diese Taten Einzelner verantwortlich machen wollen.

Diese Hetze hilft keinem. Diese Hetze macht alles nur noch schlimmer.

Ein Gedankenspiel. Wir erinnern uns an den furchtbaren Terroranschlag des Norwegers Breivik im Juli 2011. Breivik gilt als Terrorist; er wurde als voll zurechnungsfähig befunden, seine Motive sind islamfeindlich, er hat sich in vollem Umfang zu seinen Taten bekannt und auch noch versucht, diese zu rechtfertigen.

Wo sind die Stimmen, die rufen, die Norweger seien ein Terroristenvolk?

Böse Menschen gibt es. Überall. Natürlich kann man bei einem Flüchtlingszustrom, wie er seit vergangenem Herbst nach Europa kam, nicht ausschließen, dass auch böse Menschen mit unter den Schutzsuchenden sind. Wie denn auch? Das wäre naiv. Viele schreien, man hätte „die niemals ohne Kontrollen hier reinlassen dürfen“. Ja, klar. Weil ja im Pass vermerkt ist, dass einer Terrorist ist und die Absicht hat, einen Anschlag zu verüben – oder dass er pychische Probleme hat und einen erweiterten Selbstmord oder Amoklauf plant.

Der Amokläufer von München (hier geboren und aufgewachsen) hat sich übrigens den Deutschen Tim Kretschmer als Vorbild genommen, der im März 2009 15 Menschen wahllos getötet hat. (Auch hier: wo waren die Rufe, alle Deutschen – oder womöglich Schwaben? – seien Terroristen und gefährlich und gehören weggesperrt? Niemand hat sich so geäußert. Weil es absurd gewesen wäre.) Er hatte mit der aktuellen Flüchtlingssituation überhaupt nichts zu tun.

Es ist absurd, ein ganzes Volk oder alle Anhänger einer bestimmten Religion oder alle Nicht-Deutschen verantwortlich zu machen für die Tat eines Einzelnen. Es ist absurd, rassistisch und falsch. Ich werde mich daran nicht gewöhnen und ich werde den Mund aufmachen und genauso laut dagegen brüllen. Und ich hoffe, dass ich dies in Zukunft nicht mehr allzu häufig werde tun müssen – weil sich die Lage wieder beruhigt. Ich hoffe, dass dies nicht der Anfang vom Ende ist. Jeder von uns ist gefragt, seinen Teil dazu beizutragen, dass wir den Aufbruch schaffen zu einer friedlichen Gesellschaft.

Imagine.

 

 

 

People are people, so why should it be?

Ich bin kein politischer Mensch. Politik war mir immer zu anstrengend, zu unverständlich, zu undurchsichtig. Die Wahrnehmung, was in der Politik schief läuft, was sie wieder verbockt haben, „da oben“, wechselt ja auch je nach Lebenssituation. Seit ich Mutter bin, sind mir Themen wie Kinderbetreuung, Schul- und Bildungssystem, Elternzeit und Wiedereinstieg in den Beruf viel näher gerückt. Früher waren das eher solche Dinge wie Riester-Rente, Soli-Zuschlag und Krankenzusatzversicherungen. Insgesamt lebe ich aber in dem Bewusstsein, dass alles, was wir hier in diesem Land an unserer jeweiligen Regierung kritisieren, Jammern auf hohem Niveau ist. Uns geht es (fast) allen sehr gut, wir sind sozial abgesichert, haben eine großartige Gesundheitsversorgung; unser Lebensstandard gehört zu den höchsten der Welt. Und trotz aller Politikverdrossenheit (ich bin ein Kind der 70er und mit politischen Persönlichkeiten wie Helmut Schmidt und Willy Brandt aufgewachsen. Solche vor allem menschliche Größen vermisse ich heute schon sehr) gehe ich natürlich immer brav wählen weil ich die Demokratie, in der ich leben darf, wertschätze und weil ich mit dem Satz „wer nicht wählt, wählt braun!“ aufgewachsen bin.

Und jetzt passiert sowas. Jetzt wählt ein zweistelliger Prozentsatz aller Wähler (bei einer Wahlbeteiligung von über 70%!!!) im Ländle die AfD. Aus Protest, so geben Umfragen laut. Aus Protest. Soso. Der Protest richtet sich, so nehme ich an, gegen die Merkel-Politik, die seit letztem Herbst die Tore aufgemacht hat für eine große Zahl von Menschen, die – durch dieselbe Politik mitverschuldet – in allergrößte Not geraten sind. Und während ich Frau Merkel seit eben dieser Zeit mit ganz anderen Augen sehe – plötzlich wirkt sie menschlich auf mich, moralisch und stark, geradlinig, völlig losgelöst von irgendwelchen Umfragequoten und drohenden Stimmverlusten – gehen andere hin und wählen dumpfe Rechtspopulisten, um ihr einen „Denkzettel“ zu verpassen.

Wie groß ist eigentlich die Angst dieser sogenannten „Protestwähler“ vor ein paar fremden Leuten, die ein (vergleichsweise) winziges Stück von einem riesigen Kuchen abbekommen sollen, den wir alleine doch sowieso nicht schaffen und von dem wir eh einen Großteil wegschmeißen müssten? Wie abgestumpft und fremdenfeindlich, feige und ungebildet muss man eigentlich sein, um eine Partei zu wählen, die wirklich alles, was wir in den letzten 50 Jahren hart erkämpft haben (Gleichstellung der Frau, Umweltschutz, Verringerung der CO2-Emmissionen, Homo-Ehe, Schutz von Alleinerziehenden, Bildungspläne, um nur ein paar Beispiele zu nennen) rückgängig machen will?

Mit am erschreckendsten finde ich den Plan zur „Pflege der deutschen Leitkultur“ – Zitat – „…der fehlende Mut zur deutschen Leitkultur schwächt den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“

Wem da nicht die Alarmsirenen in beiden Ohren aufheulen, der hat im Geschichtsunterricht wirklich gepennt. Wem bei dem Begriff „deutsche Leitkultur“ nicht die Galle hochkommt, der hat wirklich gar nichts verstanden.

Und allen, die immer rumjammern, man soll nicht immer mit der „Nazikeule“ kommen, diese Zeiten seien längst vorbei, man müsse es auch einmal gut sein lassen und nach vorne blicken, sei gesagt: mit der AfD blickt niemand mehr nach vorne. Mit denen rasen wir mit Vollgas in einen wirklich düsteren Abgrund. Und in so einem Deutschland will ich dann nicht leben.