the end of the world as we know it

Vielleicht gewöhnt man sich ja daran. Dachte ich gestern bei der Heimfahrt aus meiner Stadt ins beschauliche Dorf, wo ich lebe. Die Polizei hatte entwarnt: Für die Bevölkerung bestand keine Gefahr mehr. Der Macheten-Irre war ein Einzeltäter und in Verwahrung.

Vielleicht wird es ab jetzt so sein, dachte ich. Schlimme Meldungen, Terrorwarnungen, dringende Empfehlungen, zuhause zu bleiben – und nach der Entwarnung geht das Leben wieder weiter. Und irgendwann gelingt es einem, ohne Angst in den Supermarkt, ins Freibad, zum Open-Air-Konzert, in den Urlaub zu gehen. Denn die Angst hilft ja nicht und sie ändert nichts. Schützen kann man sich nicht, passieren kann es überall, treffen kann es jeden. Ob Amokläufer wie in München, Würzburg oder Reutlingen, ob Terroranschlag wie in Nizza und Ansbach. Vielleicht gewöhne ich mich daran, weil ich muss.

Woran ich mich sicher nicht gewöhnen werde und will, sind die Stimmen, die gleich wieder laut, zu laut werden. Nicht nur in den sozialen Medien (da allerdings überpräsent). Auch in meinem direkten Umfeld. Schlimme Äußerungen über das „Pack, das man wieder nach Hause schicken“ solle. Bösartige Drohungen gegenüber unserer Bundeskanzlerin, die „dieses Dreckspack auch noch hereingeholt hat“. Unsägliche Äußerungen seitens des AfD-Reutlingen Twitteraccounts, später entschuldigt („der Praktikant hatte Zugang zum Account“), wenig später gelöscht. Wie gerufen kommen die jüngsten Ereignisse denjenigen, denen es schon seit letztem Spätsommer nicht passt, dass fremde Menschen hier Zuflucht suchen und bekommen. Und ja, es sind immer noch Menschen, über die wir hier sprechen. Auch die Attentäter. Auch die Amokläufer. Es sind Menschen. Selbstredend heiße ich nichts von dem, was passiert ist, gut. Ich nehme niemanden in Schutz, solche Taten sind verachtungswürdig und abscheulich. Genauso abscheulich sind aber auch diejenigen, die ein ganzes Volk für diese Taten Einzelner verantwortlich machen wollen.

Diese Hetze hilft keinem. Diese Hetze macht alles nur noch schlimmer.

Ein Gedankenspiel. Wir erinnern uns an den furchtbaren Terroranschlag des Norwegers Breivik im Juli 2011. Breivik gilt als Terrorist; er wurde als voll zurechnungsfähig befunden, seine Motive sind islamfeindlich, er hat sich in vollem Umfang zu seinen Taten bekannt und auch noch versucht, diese zu rechtfertigen.

Wo sind die Stimmen, die rufen, die Norweger seien ein Terroristenvolk?

Böse Menschen gibt es. Überall. Natürlich kann man bei einem Flüchtlingszustrom, wie er seit vergangenem Herbst nach Europa kam, nicht ausschließen, dass auch böse Menschen mit unter den Schutzsuchenden sind. Wie denn auch? Das wäre naiv. Viele schreien, man hätte „die niemals ohne Kontrollen hier reinlassen dürfen“. Ja, klar. Weil ja im Pass vermerkt ist, dass einer Terrorist ist und die Absicht hat, einen Anschlag zu verüben – oder dass er pychische Probleme hat und einen erweiterten Selbstmord oder Amoklauf plant.

Der Amokläufer von München (hier geboren und aufgewachsen) hat sich übrigens den Deutschen Tim Kretschmer als Vorbild genommen, der im März 2009 15 Menschen wahllos getötet hat. (Auch hier: wo waren die Rufe, alle Deutschen – oder womöglich Schwaben? – seien Terroristen und gefährlich und gehören weggesperrt? Niemand hat sich so geäußert. Weil es absurd gewesen wäre.) Er hatte mit der aktuellen Flüchtlingssituation überhaupt nichts zu tun.

Es ist absurd, ein ganzes Volk oder alle Anhänger einer bestimmten Religion oder alle Nicht-Deutschen verantwortlich zu machen für die Tat eines Einzelnen. Es ist absurd, rassistisch und falsch. Ich werde mich daran nicht gewöhnen und ich werde den Mund aufmachen und genauso laut dagegen brüllen. Und ich hoffe, dass ich dies in Zukunft nicht mehr allzu häufig werde tun müssen – weil sich die Lage wieder beruhigt. Ich hoffe, dass dies nicht der Anfang vom Ende ist. Jeder von uns ist gefragt, seinen Teil dazu beizutragen, dass wir den Aufbruch schaffen zu einer friedlichen Gesellschaft.

Imagine.